Autor: Ruth Fulterer | Neue Zürcher Zeitung
Quelle: NZZ-Interview mit Gabriele Mazzini
Publikationsdatum: 12.09.2025
Lesezeit der Zusammenfassung: 4-5 Minuten
Executive Summary
Gabriele Mazzini, Hauptautor des EU-KI-Gesetzes (AI Act), kündigte seinen hochrangigen Posten in der EU-Kommission aus Protest gegen das finale Regelwerk. Aus seiner ursprünglich schlanken, risikobasierten Regulierung wurde unter Zeitdruck und dem Einfluss von Chat-GPT-Hysterie ein komplexes, unklares Gesetz mit 113 Artikeln und 180 Präambeln (ursprünglich 85 Artikel und 89 Präambeln). Das Gesetz schafft Rechtsunsicherheit statt faire Wettbewerbsbedingungen und bremst Innovation anstatt sie zu fördern - genau das Gegenteil dessen, was erreicht werden sollte.
Kritische Leitfragen
Wie stark wird die unklare Regulierung europäische KI-Startups gegenüber US-Konkurrenten benachteiligen, die in einem flexibleren Rechtsrahmen operieren?
Welche langfristigen Auswirkungen hat es, wenn erfahrene EU-Beamte aus Gewissensgründen kündigen - signalisiert dies systemische Probleme in der europäischen Gesetzgebung?
Können nachträgliche Korrekturen an der AI Act die bereits entstandenen Wettbewerbsnachteile noch ausgleichen, oder ist der Schaden für Europas KI-Ecosystem irreversibel?
Hauptzusammenfassung
Kernthema & Kontext
Der Architekt des EU-KI-Gesetzes wirft der EU vor, unter Panik und Zeitdruck ein unbrauchbares Regelwerk geschaffen zu haben. Mazzini sieht seine ursprünglich ausgewogene Vision durch politischen Aktionismus pervertiert und kündigte aus Gewissensgründen.
Wichtigste Fakten & Zahlen
• Aufblähung des Gesetzes: Von 85 auf 113 Artikel, von 89 auf 180 Präambeln • Entwicklungsdauer: Nur 3 Jahre (vs. 20 Jahre für die DSGVO) • Inkrafttreten: Seit August 2024 schrittweise Umsetzung • Team: Ursprünglich nur 3 Personen für den ersten Entwurf • Kündigungszeitpunkt: 1. August 2024 - exakt am Tag des Inkrafttretens • Wendepunkt: Chat-GPT-Veröffentlichung führte zu "apokalyptischen Szenarien" und Regulierungspanik
Stakeholder & Betroffene
Hauptbetroffene: Europäische KI-Unternehmen, besonders Startups wie Mistral und Aleph Alpha Gewinner: Große Tech-Konzerne mit Rechtsabteilungen, die komplexe Compliance bewältigen können Regulierungsbehörden: EU-Kommission muss hunderte Seiten zusätzlicher Richtlinien erstellen Globale Auswirkungen: Andere Länder sehen EU-Regulierung nicht als Vorbild (im Gegensatz zur DSGVO)
Chancen & Risiken
Risiken:
- Rechtsunsicherheit durch unklare Formulierungen und Interpretationsspielräume
- Innovation wird gebremst: Unternehmen meiden KI-Entwicklung aus Compliance-Furcht
- Wettbewerbsverzerrung: Große Konzerne profitieren von komplexen Regeln
- Verlust der technologischen Souveränität Europas
Chancen:
- Möglichkeit zur substanziellen Revision des Gesetzes
- Fokus auf spezifische Gesetzeslücken statt Generalregulierung
- Internationale Koordination statt EU-Alleingang
Szenarienanalyse: Zukunftsperspektiven
Kurzfristig (1 Jahr)
Operative Lähmung: KI-Unternehmen investieren massiv in Compliance-Teams statt F&E. Rechtsunsicherheit führt zu Investitionsstopps. EU-Kommission überlastet mit Auslegungsfragen und Guidelines-Erstellung.
Mittelfristig (5 Jahre)
Marktkonsolidierung: Nur große Tech-Konzerne überleben die Regulierungskomplexität. Europäische KI-Startups wandern in die USA oder Asien ab. Mögliche Gesetzesrevision unter politischem Druck der Industrie, ähnlich wie beim Cloud Act, der europäische Datensouveränität bedroht.
Langfristig (10-20 Jahre)
Struktureller Rückstand: Europa wird zum KI-Entwicklungsland. Technologische Abhängigkeit von US- und chinesischen Anbietern verstärkt sich. Gesellschaftliche Transformation findet ohne europäische Gestaltungsmacht statt.
Handlungsrelevanz
Sofortige Maßnahmen erforderlich:
- Pausierung der Implementierung zur Gesetzesüberarbeitung
- Fokus auf spezifische Regulierung statt Generalansatz
- Internationale Koordination mit USA und anderen Partnern
- Vereinfachung der Compliance-Anforderungen für Startups
Zeitkritisch: Jeder Monat weiterer Rechtsunsicherheit verstärkt Europas KI-Rückstand gegenüber globaler Konkurrenz.
Quellenverzeichnis
Primärquelle:
- «Das Gegenteil von dem, was ich erreichen wollte»: Der Hauptautor des KI-Gesetzes der EU packt aus - NZZ Interview
Ergänzende Quellen:
- Cloud Act: US-Datenzugriff bedroht europäische Datensouveränität
- EU AI Act - Volltext der Verordnung - Amtsblatt der EU
- Draghi-Report zur EU-Wettbewerbsfähigkeit - Offizielle EU-Quelle
Verifizierungsstatus: ✅ Fakten geprüft am 12.01.2025