Publikationsdatum: 13.11.2025
Übersicht
Autor: Zeno Geisseler
Quelle: Neue Zürcher Zeitung (NZZ.ch)
Publikationsdatum: 13. November 2025
Lesezeit: ca. 3 Minuten
Zusammenfassung
Nach NZZ-Recherchen über umfangreiche Datensammlungen verteidigt der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) das Vorgehen seiner Steuerbehörden bei der Überprüfung von Steuerpflichtigen.
- Das Steueramt fordert bei Wohnsitz-Abklärungen Handy-Standortdaten über mehrere Jahre, Kontoauszüge, ärztliche Behandlungsdaten, Informationen zu Freunden und sogar Parteimitgliedschaften ein
- Stocker weist den Vorwurf einer „Steuer-Stasi" zurück und betont die Verhältnismässigkeit der Massnahmen
- 300 Fälle bei Wochenaufenthaltern und 200 sonstige Wohnsitzabklärungen pro Jahr bei über einer Million Steuerpflichtigen
- Nur etwa 10 Fälle landen jährlich vor Gericht, 8 davon gewinnt das Steueramt
- Steueramtschefin Marina Züger behauptet, Bürger dürften „nicht relevante Details" schwärzen – widerspricht aber eigenen Dokumenten, die „lückenlose, ungeschwärzte" Angaben fordern
- Als Rechtfertigung dient der Vasella-Fall (2020), wo das Verwaltungsgericht Zug ähnliche Datensammlungen legitimierte
- Drei freisinnige Parlamentsmitglieder haben eine kritische Anfrage eingereicht, die das Vorgehen mit der Fichenaffäre vergleicht
Chancen & Risiken
Chancen
- Effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung bei Wohnsitzverlagerungen
- Rechtssicherheit durch Orientierung an bestehender Gerichtspraxis
- Hohe Erfolgsquote vor Gericht stärkt Position der Steuerbehörden
Risiken
- Massive Eingriffe in die Privatsphäre unbescholtener Bürger
- Abschreckungseffekt für Unternehmen und vermögende Privatpersonen
- Vertrauensverlust in rechtsstaatliche Verhältnismässigkeit
Blick in die Zukunft
Kurzfristig (1 Jahr): Politische Debatte im Zürcher Kantonsparlament wird das Vorgehen unter die Lupe nehmen. Möglicherweise verschärfte Kontrolle der Steueramt-Praxis.
Mittelfristig (5 Jahre): Andere Kantone könnten ähnliche Methoden übernehmen oder sich bewusst davon abgrenzen, um Standortvorteile zu schaffen. Rechtliche Klarstellung durch höhere Instanzen wahrscheinlich.
Langfristig (10-20 Jahre): Grundsätzliche Neudefinition des Verhältnisses zwischen Steuerhoheit und Datenschutz in der digitalisierten Welt. Bundesweite Regelung für Datensammlung bei Steuerbehörden denkbar.
Faktencheck
Solide belegt:
- Konkrete Zahlen zu Abklärungsfällen und Gerichtsverfahren
- Verweis auf bestehende Gerichtspraxis (Vasella-Fall)
- Dokumentierte Widersprüche zwischen Aussagen der Behördenvertreter und tatsächlichen Forderungen
Fragwürdig oder unvollständig:
- Vergleich mit anderen Kantonen bleibt vage
[⚠️ Noch zu prüfen] - Verhältnismässigkeits-Bewertung wird behauptet, aber nicht substanziiert
- Langfristige Auswirkungen auf Standortattraktivität
[⚠️ Noch zu prüfen]
Kurzfazit
Die Zürcher Steuerbehörden sammeln bei Verdachtsfällen private Daten in einem Ausmass, das an staatliche Überwachung erinnert – und verteidigen dies als rechtmässig und verhältnismässig. Der Fall zeigt exemplarisch, wie sich die Balance zwischen effizienter Steuererhebung und Bürgerrechten in der digitalen Ära verschiebt. Die politische Aufarbeitung wird zeigen, ob die Schweizer Rechtsordnung solche Eingriffe dauerhaft toleriert.
Drei kritische Fragen
Freiheit vs. Fiskus: Ist es wirklich verhältnismässig, für Steuerabklärungen derart intime Lebensdaten zu sammeln – oder wird hier die Unschuldsvermutung faktisch auf den Kopf gestellt?
Verantwortung ohne Kontrolle: Wer kontrolliert eigentlich, wie diese sensiblen Daten verwendet, gespeichert und vor Missbrauch geschützt werden – und warum widersprechen sich die Behördenvertreter in ihren eigenen Aussagen?
Transparenz als Einbahnstrasse: Während Bürger ihre intimsten Daten „lückenlos und ungeschwärzt" preisgeben müssen, bleibt die Praxis der Steuerbehörden weitgehend im Dunkeln – ist das noch rechtsstaatlich oder schon autoritär?