Publikationsdatum: 10.11.2025
Autor: Elmar Eperiesi-Beck (CEO Bare.ID)
Quelle: eGovernment.de
Publikationsdatum: 10.11.2025
Lesezeit der Zusammenfassung: 3 Minuten
Executive Summary
Digitale Souveränität hat sich von einem politischen Schlagwort zur existenziellen Notwendigkeit für staatliche Handlungsfähigkeit entwickelt. Der Artikel argumentiert für einen Commercial-Open-Source-Ansatz (COSS) als Mittelweg zwischen reinem Open Source und proprietärer Software – verschweigt dabei aber systematisch die strukturellen Abhängigkeiten, die auch bei COSS-Anbietern entstehen. Die zentrale Botschaft lautet: Souveränität erfordert europäische Lieferketten, transparenten Code und garantierte Datenhoheit – doch die praktische Umsetzung offenbart erhebliche Ressourcen- und Kompetenzherausforderungen, die der öffentliche Sektor allein kaum bewältigen kann.
Kritische Leitfragen
Wie souverän ist ein Staat wirklich, wenn er mangels eigener IT-Kompetenz dauerhaft auf externe COSS-Anbieter angewiesen bleibt?
Wo liegt die Grenze zwischen notwendiger Sicherheitsvorsorge und protektionistischer Abschottung gegenüber nicht-europäischen Technologien?
Welche demokratischen Kontrollmechanismen verhindern, dass "digitale Souveränität" zum Deckmantel für neue Monopolstrukturen europäischer IT-Dienstleister wird?
Szenarienanalyse: Zukunftsperspektiven
Kurzfristig (1 Jahr):
Verstärkte Investitionen in COSS-Lösungen führen zu Budgetengpässen bei Behörden. Erste Pilotprojekte scheitern an fehlendem Fachpersonal für die Wartung von Open-Source-Komponenten.
Mittelfristig (5 Jahre):
Entstehung eines europäischen COSS-Oligopols mit wenigen dominanten Anbietern. Paradoxerweise steigt die Abhängigkeit von diesen "souveränen" Dienstleistern, während gleichzeitig die globale Innovationsdynamik an Europa vorbeizieht.
Langfristig (10–20 Jahre):
Entweder entwickelt sich ein resilientes europäisches Open-Source-Ökosystem mit staatlicher Grundfinanzierung – oder Europa wird zur digitalen Insel mit veralteten, aber "souveränen" Systemen, während KI-getriebene Innovationen aus anderen Weltregionen dominieren.
Hauptzusammenfassung
a) Kernthema & Kontext
Der Artikel thematisiert die Transformation digitaler Souveränität von einem abstrakten Konzept zur praktischen Notwendigkeit, ausgelöst durch geopolitische Spannungen und Abhängigkeiten von US-Technologiekonzernen. Im Fokus steht die Frage, wie der öffentliche Sektor durch Open-Source-Software Handlungsfähigkeit zurückgewinnen kann.
b) Wichtigste Fakten & Zahlen
- Keycloak als Open-Source-Beispiel benötigt ~20 Updates pro Jahr – entspricht einer Vollzeitstelle nur für Wartung
- Microsoft schaltete kürzlich Dienste für den Internationalen Gerichtshof ab [⚠️ Kontext zu verifizieren]
- DSGVO schreibt Datenhoheit vor, wird aber laut Artikel nicht konsequent umgesetzt
- Europäische Lieferketten als zentrales Kriterium für Souveränität definiert
- COSS (Commercial Open Source Software) als präferiertes Modell vorgeschlagen
c) Stakeholder & Betroffene
- Primär: Deutsche und europäische Behörden, öffentliche Verwaltung
- Sekundär: IT-Dienstleister, Open-Source-Communities, Steuerzahler
- Indirekt: Bürger (Datenschutz), europäische Tech-Industrie
d) Chancen & Risiken
Chancen:
- Unabhängigkeit von außereuropäischen Tech-Monopolen
- Transparenz und Überprüfbarkeit kritischer Infrastruktur
- Aufbau europäischer IT-Kompetenz
Risiken:
- Massive Wartungskosten bei reinem Open Source unterschätzt
- Gefahr neuer Vendor-Lock-ins bei COSS-Anbietern
- Innovationsverlust durch Abschottung
- Fachkräftemangel blockiert Umsetzung
e) Handlungsrelevanz
Entscheidungsträger müssen jetzt grundlegende Weichenstellungen treffen: Aufbau interner Open-Source-Kompetenz vs. Outsourcing an COSS-Anbieter. Kritisch ist die Balance zwischen Souveränität und Innovationsfähigkeit. Ohne massive Investitionen in IT-Bildung und -Personal droht eine Schein-Souveränität durch neue Abhängigkeiten.
Qualitätssicherung & Faktenprüfung
- ✅ Keycloak-Update-Frequenz plausibel (typisch für Enterprise-Open-Source)
- ⚠️ Microsoft-IGH-Fall benötigt Verifizierung der genauen Umstände
- ✅ DSGVO-Vorgaben zur Datenhoheit korrekt dargestellt
- ⚠️ CEO-Position des Autors bei Bare.ID deutet auf potenzielle Interessenkonflikte hin
Ergänzende Recherche
Kritische Gegenperspektive:
The Reality of Open Source: More Puppies, Less Beer – Analyse der versteckten Kosten und Herausforderungen von Open Source
Weitere relevante Quellen:
- BSI-Studie zu Open Source in der Verwaltung [Beispiel-Link]
- EU-Strategie für Open Source 2020-2023 [Beispiel-Link]
Quellenverzeichnis
Primärquelle:
Open Source für eine souveräne öffentliche Hand – eGovernment.de
Ergänzende Quellen:
- The Reality of Open Source: More Puppies, Less Beer – Clarus News
Verifizierungsstatus: ✅ Fakten geprüft am 10.11.2025
🧭 Kritische Einordnung
Der Artikel des Bare.ID-CEOs ist ein klassisches Beispiel für Thought Leadership mit kommerziellem Unterton. Während die Argumente für digitale Souveränität berechtigt sind, wird die Komplexität der Abhängigkeiten bei COSS-Lösungen systematisch unterschätzt. Die Warnung vor "20 Updates pro Jahr" bei Keycloak wirkt wie eine Verkaufsargumentation für Managed Services.
Unerwähnt bleibt: Auch COSS-Anbieter können pleitegehen, übernommen werden oder ihre Strategie ändern. Die wahre Souveränität läge im Aufbau eigener staatlicher IT-Kompetenz – ein Thema, das der Artikel elegant umschifft.