Cassis in Berlin: Viel Gespräch, wenig Protokoll – und eine Menge Europa 😏

Blog (DE)

Cassis in Berlin: Viel Gespräch, wenig Protokoll – und eine Menge Europa 😏


1. Übersicht – Worum geht es überhaupt?

  • Wer hat das geschrieben (Originalartikel)?
    Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) – sprich: die offizielle Schweiz.

  • Wo ist das erschienen?
    Medienmitteilung auf news.admin.ch

  • Von wann ist der Text?
    Original-Medienmitteilung vom 14. November 2025 (Besuch am 13.–14. November 2025).

  • Zusätzliche Einordnung / Kontextquelle:
    LinkedIn-Post von Daniel Moeckli (CSS ETH Zürich) zu den Zukunftsperspektiven der OSZE, inklusive Hinweis auf die Vorbereitung der Schweizer OSZE-Präsidentschaft 2026:
    https://www.linkedin.com/posts/daniel-möckli-673a4a17_what-are-the-prospects-for-the-organization-activity-7395191727336194048-okeG

  • Wer kommt politisch vor?

    • Ignazio Cassis, Vorsteher EDA / künftiger OSZE-Vorsitzender 2026
    • Johann Wadephul, seit 6. Mai 2025 deutscher Aussenminister
    • Reem Alabali Radovan, seit 6. Mai 2025 deutsche Entwicklungsministerin
  • Wann lese ich das?
    Am 16. November 2025 (also mitten im Nachklapp der Berlin-Reise).

  • Lesezeit

    • Original-Medienmitteilung: ca. 3 Minuten
    • Dieser leicht ironische Deep-Dive: ca. 5 Minuten – starker Kaffee empfohlen.

2. Zusammenfassung – Ich hab’s verstanden, du jetzt auch

Kurzer Einstieg

Bundesrat Ignazio Cassis reist nach Berlin, trifft den neuen deutschen Aussenminister Johann Wadephul und die Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan. Offiziell geht es um „bilaterale Beziehungen“, „grenzüberschreitende Zusammenarbeit“, das Vertragspaket Schweiz–EU und die grossen Krisen (Ukraine, Naher Osten). Inoffiziell: Es geht um nichts weniger als die Frage, wie viel Freiheit sich die Schweiz in Europa noch leisten kann – und wer in Zukunft an welchem Hebel sitzt.

Die wichtigsten Punkte (max. 7)

  1. Zweitaegiger Arbeitsbesuch von Cassis in Berlin am 13.–14. November 2025, mit offizieller Unterredung mit Aussenminister Johann Wadephul.
  2. Im Zentrum steht das Vertragspaket Schweiz–EU („Bilaterale III“), das auf rund 800 Seiten die Beziehungen stabilisieren und weiterentwickeln soll – inklusive dynamischer Rechtsübernahme, Streitbeilegung und neuen Binnenmarktabkommen.
  3. Deutschland ist als groesster EU-Nachbar und politisches Schwergewicht zentral fuer die Frage, ob dieses Paket politisch tragfaehig wird – oder als „EU-Unterwerfungsvertrag“ im Schweizer Abstimmungskampf zerrieben wird.
  4. Daneben geht es um Sicherheitspolitik: Krieg in der Ukraine, Spannungen im Nahen Osten und die Rolle Europas in einer bruochigen Weltordnung – inklusive Blick auf die OSZE, die die Schweiz 2026 bereits zum dritten Mal präsidieren wird.
  5. Cassis trifft zudem Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan, die gerade dabei ist, mit einem Budget von gut 10,31 Milliarden Euro pro Jahr die deutsche Entwicklungszusammenarbeit neu auszurichten – mit mehr Einbindung der Privatwirtschaft.
  6. Vieles bleibt erstaunlich vage: Konkrete Zusagen zu Zollfragen, zum Vertragspaket oder zu neuen Projekten werden in der Medienmitteilung schlicht nicht benannt – Transparenz sieht anders aus.
  7. Im Hintergrund: Debatten über eine neue europaeische Sicherheitsarchitektur, die Zukunft der OSZE mit ihren 57 Mitgliedstaaten und die Frage, ob kleine Staaten wie die Schweiz noch echte Innovation in diesen Strukturen durchsetzen koennen.

Unsicherheiten und offene Punkte:

  • Wie genau sich Deutschland im Schweizer Abstimmungskampf zum EU-Vertragspaket aeussert, bleibt offen. [⚠️ Noch zu pruefen]
  • Welche konkreten Projekte mit Reem Alabali Radovan vereinbart wurden, geht aus der Medienmitteilung nicht hervor. [⚠️ Noch zu pruefen]

3. Chancen & Risiken – Es ist kompliziert

Chancen

  • Fester Partner fuer Europa-Fragen
    Mit Wadephul als klar transatlantisch und europaorientiert positioniertem Aussenminister koennte Deutschland zu einem berechenbaren Partner fuer die Weiterentwicklung des bilateralen Wegs werden.

  • Rueckenwind fuer das Vertragspaket Schweiz–EU
    Ein wohlwollendes Berlin erhoeht die Chancen, dass die EU bei Streitbeilegung, Lohnschutz und Beihilferegeln pragmatische Loesungen mittraegt – was die innenpolitische Debatte in der Schweiz entschaerfen koennte.

  • Vorbereitung auf die OSZE-Praesidentschaft 2026
    Gute Beziehungen zu Deutschland und zur EU sind Gold wert, wenn Cassis als OSZE-Vorsitzender eine glaubwuerdige Rolle als Bruckenbauer spielen will – gerade bei Ukraine, Ruestungskontrolle und Menschenrechten.

Risiken

  • Transparenzdefizit
    Wenn nach einem hochrangigen Besuch nur Floskeln uebrig bleiben („breites Meinungsaustausch“, „hervorragende Beziehungen“), wirkt das nach innen wie nach aussen wenig vertrauensbildend – und fuettert den Verdacht, dass heikle Zusagen lieber hinter verschlossenen Tueren stattfinden.

  • Freiheit vs. Vertragstext
    Das EU-Vertragspaket verspricht Stabilitaet, schraenkt aber gleichzeitig den politischen Spielraum der Schweiz ein – z.B. durch dynamische Rechtsuebernahme und Streitbeilegungsmechanismen. Wer von Freiheit spricht, muss erklaeren, wie diese Mechanismen demokratisch kontrolliert werden sollen.

  • Politische Instrumentalisierung
    Jede Geste in Berlin wird in der Schweizer Innenpolitik gelesen: als „Anbiederung an Brüssel“ oder als „verantwortungsvolle Europapolitik“. Die Gefahr, dass es am Ende weniger um sachliche Verantwortung als um Kampagnen-Slogans geht, ist real.


4. Blick in die Zukunft – Was koennte da noch kommen?

Kurzfristig (1 Jahr)

  • Bundesratsbotschaft und Parlamentsdebatte
    Nach Abschluss der Vernehmlassung zum Vertragspaket Schweiz–EU wird der Bundesrat seine Botschaft ans Parlament schicken; die politischen Fronten in Bern werden sich einsortieren – inklusive parteiinterner Grabenkämpfe.

  • Testlauf mit Berlin
    Ob Wadephul wirklich als verlaesslicher Partner der Schweiz wahrgenommen wird, zeigt sich daran, wie Deutschland sich oeffentlich zu kritischen Dossiers aeussert – etwa beim Lohnschutz oder bei allfaelligen Zollkonflikten mit Drittlaendern. [⚠️ Noch zu pruefen]

  • OSZE-Countdown
    Die Vorbereitung der Schweizer OSZE-Praesidentschaft 2026 wird konkreter; Paneldiskussionen wie die von Daniel Moeckli skizzieren bereits Szenarien, wie viel Handlungsspielraum der OSZE in einer blockierten Sicherheitsordnung ueberhaupt bleibt.

Mittelfristig (5 Jahre)

  • Umsetzung oder Scheitern des Vertragspakets
    Wird das Paket in einer Volksabstimmung angenommen, beginnt ein mehrjaehriger Prozess der Rechtsanpassung, des Monitorings und der praktischen Zusammenarbeit – mit viel Potenzial fuer Streit ueber Nachvollziehbarkeit und Transparenz. Wird es abgelehnt, steht die Schweiz wieder am Vertragsanfang.

  • Neues Gleichgewicht Schweiz–Deutschland–EU
    Je nachdem, wie sich Deutschland europapolitisch positioniert (mehr Integrationstiefe vs. Renationalisierungstendenzen), muessen Schweiz und EU ihre Beziehung neu kalibrieren – etwa bei Strommarkt, Forschung oder Migration.

  • OSZE unter Schweizer Praegung
    Wenn die Schweizer Praesidentschaft 2026 einige konkrete Reformimpulse fuer die OSZE setzt (z.B. bei Konfliktpraevention oder Technologiefragen), koennte das die Rolle kleiner Staaten in multilateralen Foren staerken – vorausgesetzt, die Grossen lassen das zu.

Langfristig (10–20 Jahre)

  • Neue europaeische Architektur
    Mit oder ohne formelles EU-Mitgliedschaftsszenario: Der bilaterale Sonderweg wird sich anpassen muessen, weil EU und innenpolitische Realitaeten sich weiterentwickeln. Die Frage ist, ob die Schweiz dabei aktiv mitgestaltet oder passiv nachzieht.

  • Rolle der Schweiz als Bruckenbauerin
    Zwischen EU, Nicht-EU-Staaten, OSZE, UNO und einer fragmentierten Weltordnung koennte die Schweiz ihre Rolle als neutraler Vermittler behalten – oder verlieren, wenn sie Freihandel, Menschenrechte und ihre eigene Freiheit nicht glaubwuerdig zusammenbringt.

  • Innovation vs. Verwaltungsroutine
    Langfristig entscheidet sich, ob solche Besuche in Berlin vor allem Protokoll und Pflichttermin bleiben – oder ob daraus wirklich neue Innovationsmodelle in der grenzueberschreitenden Zusammenarbeit (z.B. bei Energie, Digitalisierung, Klima) entstehen. [⚠️ Noch zu pruefen]


5. Faktencheck – Stimmt das überhaupt?

Solide belegt:

  • Cassis’ Berlin-Besuch am 13.–14.11.2025 inklusive Treffen mit Bundesminister Wadephul sowie Entwicklungsministerin Alabali Radovan ist offiziell dokumentiert in der Medienmitteilung des EDA.
  • Johann Wadephul ist seit 6. Mai 2025 deutscher Aussenminister im Kabinett Merz – bestaetigt durch das Auswaertige Amt und weitere offizielle Biografien.
  • Reem Alabali Radovan ist seit 6. Mai 2025 Bundesministerin fuer wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
  • Das Vertragspaket Schweiz–EU („Bilaterale III“) existiert, umfasst mehrere Bundesbeschluesse, dynamische Rechtsuebernahme und neue Binnenmarktabkommen; Vernehmlassung eroeffnet am 13. Juni 2025.
  • Die Schweiz uebernimmt 2026 zum dritten Mal den Vorsitz der OSZE mit Cassis als Chairperson-in-Office; die OSZE zaehlt 57 Teilnahmestaaten.

Plausibel, aber politisch aufgeladen:

  • Bewertung, ob das Vertragspaket die schweizerische Souveraenitaet einschraenkt oder eher absichert, ist stark vom politischen Standpunkt abhaengig; hier gibt es widerspruechliche Einordnungen von Regierung, Wirtschaftsverbaenden und Kritikern.

Offen / wenig transparent kommuniziert:

  • Welche konkreten Zusagen Berlin zum Vertragspaket abgegeben hat (z.B. zum Umgang mit Streitfaellen oder politischer Unterstuetzung in Brüssel), wird in der offiziellen Mitteilung nicht erwaehnt. [⚠️ Noch zu pruefen]
  • Ob im Bereich Entwicklungszusammenarbeit bereits neue gemeinsame Projekte vereinbart wurden, geht nicht aus den frei zugaenglichen Quellen zum Besuch hervor. [⚠️ Noch zu pruefen]

6. Kurzfazit – Und, worum geht es wirklich?

Die wichtigste Botschaft: Der Besuch von Cassis in Berlin ist weniger Hoeflichkeitsprogramm als strategische Standortbestimmung – mitten in einer entscheidenden Phase fuer das Vertragspaket Schweiz–EU und vor der OSZE-Praesidentschaft 2026. Wer sich dafuer interessiert, wie viel Freiheit die Schweiz in Europa behalten will und welche Verantwortung sie in der Sicherheitsordnung uebernimmt, sollte diesen Besuch nicht als Randnotiz abtun. Gleichzeitig bleibt die Kommunikation erstaunlich duerr, was Fragen nach Transparenz und demokratischer Nachvollziehbarkeit aufwirft. Empfehlung: aufmerksam bleiben, Quellen lesen, nicht nur Schlagzeilen – und beim naechsten „Alles blieb beim Alten“-Statement freundlich nach Details fragen.


7. Drei kritische Fragen – Fair, aber ein bisschen unbequem

  1. Freiheit:
    Wie stellt der Bundesrat sicher, dass das Vertragspaket Schweiz–EU nicht schleichend mehr Fremdbestimmung als Stabilitaet bringt – und wie koennen Buerginnen und Buerger diese Balance real kontrollieren?

  2. Verantwortung:
    Wenn Cassis als künftiger OSZE-Vorsitzender 2026 eine aktivere Rolle in Konflikten wie Ukraine oder Nahost spielt – wie wird vorab demokratisch geklaert, welche Risiken die Schweiz bereit ist zu tragen, und wer politisch die Verantwortung uebernimmt, wenn etwas schiefgeht?

  3. Innovation & Transparenz:
    Werden Treffen wie das in Berlin genutzt, um wirklich neue, innovative Formen der Zusammenarbeit (z.B. bei Energie, Sicherheit, Entwicklung) aufzubauen – oder bleibt es bei wohlklingenden Communiques ohne konkrete, nachvollziehbare Ziele und Kennzahlen, die die Oeffentlichkeit pruefen kann?